Die Entstehung

 
 
 
 

Die Entstehung des Rhönradturnens

In der Zeit nach dem ersten Weltkrieg, als das Ruhrgebiet besetzt wurde und die Besatzungsmächte zahlreiche Beamte und Bürger inhaftierten, da sie sich gegen die separatistischen Bestrebungen in der Pfalz wandten, kam auch Otto Feick, ein im westpfälzischen Reichenbach geborener Schlosser und Eisenbahngewerkschaftler, in Haft. In der Haft erinnerte er sich an ein Kindheitserlebnis, als er zwei starke Fassreifen durch Querstäbe verband, um mit diesem Doppelrad als Mutprobe vor seinen Spielkameraden einen Abhang hinunter zu rollen. Er entwickelte den Plan, aus diesem Kindererlebnis ein Turngerät zu entwickeln. Nach seiner Haft zog Otto Feick in die Heimat seiner Frau nach Schönau an der Brend, einem kleinen Ort in der Rhön. Dort eröffnete er eine Werkstatt für Metallverarbeitung und nach vielen Versuchen entstand 1924/25 das Turnrad, dass Otto Feick seiner neuen Heimat zuliebe "Rhönrad" nannte. Im Jahre 1925 meldete er das Rhönrad zum Patent an und ließ es in 30 Staaten schützen.

Feick setzte sich persönlich für die Verbreitung des neuen Sportgerätes ein: Als erstes ging es nach Würzburg, wo er mit Sportlern der Eisenbahner Turn- und Sportverbände eine Musterriege zusammenstellte. Durch Vorführungen und Schauturnen versuchte er so das Interesse der Öffentlichkeit zu wecken. 1927 stellte er das Rhönrad in London, 1928 in Frankreich vor und bereiste anschließend mit seiner Musterriege fast alle Länder Europas. Die erste Reise nach Amerika trat er 1929 an, wo das Rhönrad fast zur Sensation wurde. Da Berlin als Reichshauptstadt Otto Feick als besonders wichtig erschien, machte er sich mit großem Eifer daran, dort neben Würzburg das zweite Rhönradzentrum entstehen zu lassen. Aber auch mit Schulen trat er in Verbindung, so dass das Rhönrad in den Sportunterricht einiger Schulen integriert wurde. Die ersten Wettkämpfe wurden ebenfalls in dieser Zeit ausgetragen: Noch waren es Wettfahrten, Wettspringen sowie Hindernisrennen! Daneben gab es aber auch schon Pflicht- und Kürübungen in der Spirale und im Geradeturnen. Den Höhepunkt in der Entwicklung des Wettkampfwesens bildete das Internationale Rhönradturnier 1930 in Bad Kissingen, an dem neben Deutschland fünf andere Nationen  teilnahmen. Ebenfalls in diesem Jahr fanden in Würzburg die 1. Deutschen Rhönradspiele statt, bei denen alleine 50 Turner aus Würzburg antraten.

Als urdeutsche Sportart wurde das Rhönradturnen in der NS Zeit stark gefördert, was seinen Höhepunkt 1936 im Rahmenprogramm der Olympischen Spiele in Berlin fand, wo 120 Turner und Turnerinnen antraten. Durch den Ausbruch des 2. Weltkrieges wurde das Rhönradturnen, wie allgemein der gesamte Sportbetrieb, eingeschränkt, bis es in den letzten Kriegsjahren vollständig zum Erliegen kam.

Nach dem 2. Weltkrieg war das Rhönradturnen in Deutschland vorerst als deutschstämmige Sportart verpönt.

Erst Mitte der fünfziger Jahre begannen, wiederum in Würzburg und Berlin, die Vereine Wettkämpfe auszutragen. Jetzt begann man eher die turnerischen Akzente zu fördern und die Geschwindigkeitsrennen gerieten mehr und mehr in den Hintergrund. Auch der Ort des Geschehens änderte sich: Durch das Beschichten der Stahlreifen mit Hart-PVC konnte man nun in der Turnhalle, statt draußen auf dem Rasen turnen. Das führte dazu, dass die Turner langsamer und somit präziser turnen konnten. Außerdem konnten dadurch größere Räder benutzt werden. Schon bald wurde das Rhönradturnen erst in die Landesturnverbände und 1958 auch in den DTB aufgenommen. So fanden 1960 endlich die ersten Deutschen Meisterschaften in Hannover statt und 1961 die ersten Deutschen Vereins-Mannschaftsmeisterschaften. Otto Feick erlebte die volle Anerkennung seiner Erfindung nicht. Er starb am 17. Oktober 1959.

Ein noch größerer Aufschwung des Rhönrades begann Anfang der 1980er Jahre. Durch die Gymnaestraden 1982 in Zürich sowie 1987 im dänischen Herning wurde die Basis für eine internationale Rhönradarbeit gelegt. Die Rhönrad-Schauturngruppe des DTB, unter der Leitung von Paul Sieler, erregte mit ihren sehr modernen Choreographien "Akrobat Rhön", "Abarad Kadabarad Simsalaroll - zauberhaftes Rhönradturnen" und "Rolle unter Kontrolle" sehr viel Aufsehen und Interesse an dieser alten/neuen Sportart. Kontakte nach Israel, Japan und sehr vielen europäischen Ländern führten 1990 zur Austragung des 1. Europacup im Rhönradturnen in Taunusstein, organisiert vom FIRR (Fédération Internationale de Rhönrad), des Vorläuferverbands des Internationalen Rhönradverbandes (IRV). Während 1991 in Cosenza/Italien auch noch ein Europa-Cup durchgeführt wurde, waren es in den darauf folgenden Jahren in der Schweiz, Frankreich und Portugal offiziell anerkannte Europameisterschaften.

In Niedersachsen und Bremen gibt es derzeit 40 aktive Vereine mit über 1400 Rhönradturnerinnen und -turnern. In den Landesverbänden wird ein umfangreiches Kader-, Lehrgangs- und Fortbildungsprogramm organisiert, so dass die Leistungsturnerinnen Bremens und Niedersachsens regelmäßig an internationalen Wettkämpfen erfolgreich teilnehmen. Nach wie vor wird aber auch neben den Wettkämpfen viel auf Schauturnen oder anderen Veranstaltungen geturnt. Im heutigen Wettkampfgeschehen wird neben den Leistungsklasseneinteilungen, die sich hauptsächlich nach dem Alter der Turner richten, in vier Disziplinen geturnt: Geradeturnen, Spiraleturnen, Sprung- und Musikkür.

In Bremen ist der Hochschulsport (HoSpo) der Universität der einzige Verein im Bundesland. Die Räder wurden mitte der 80ger Jahre angeschafft und dienen seitdem der Studentenausbildung und dem HoSpo. Da beim HoSpo nicht wettkampforientiert trainiert wird, gestaltet sich der Einstieg in diese Sportart für alle Altersgruppen besonders leicht. Schon recht früh lernen die Turner viele unterschiedliche Übungen und parallel dazu das Sichern und Korrigieren der Mitturner. Neben den Anfängerkursen hat sich beim HoSpo eine gemischte Trainingsgemeinschaft zwischen 18 und 55 Jahren etabliert, die unter dem Dach des HoSpo regelmäßig trainiert und an Schauturnen und Wettkämpfen teilnimmt.

 

 

Abb:             Rhönrad im Sportunterricht

                    Otto Feick im Gespräch mit einer Turnerin

                    Die Musterriege in NY

                    Leni Klarmann 1930 in NY

                    Monopol Sportphotos Dresden 1928 Vor- und Rückseite

                   

 

Quellen:       IRV Internationaler Rhönradturnverband

                    NTB Niedersächsischer Turnerbund

                    Ines Sebesta: Rhönrad-Report ISBN 978-3-00-053151-4   (2. Ausgabe ist als Hardcover Dezember 2016 erschienen)